Eine Brühe für Gunnar Kaiser

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Es gibt den englischen Ausdruck “guilty pleasure” für eine Tätigkeit, derer man sich schämt, die einem aber dennoch Vergnügen bereitet. Für mich ist das Videos von Menschen anzuschauen, die sich bemühen eine flache Gestalt der Erde nachzuweisen. Intellektuell sind diese oft wenig herausfordernd. Aber manchmal aber regen sie doch zum Nachdenken an, denn man beginnt sich unweigerlich zu fragen: “Wie würde ich diese Beobachtung und die ihr zugrundeliegende Physik erklären?” So viel zum vergnüglichen Teil. Das Schamgefühl stellt sich ein, wenn man etwas weiter über die Gründe reflektiert, warum man sich dieses Video eigentlich angesehen hat. Denn natürlich hat man es wegen des Gefühls der intellektuellen Überlegenheit getan. Eine Überlegenheit, die gegenüber einem Flacherdler leicht, im Alltag oft viel schwerer zu rechtfertigen ist.

Nun denkt YouTube ja mit der geradlinigen Nüchternheit einer Maschine und schlägt mir also, nebst Flacherdgeschwurbel, hin und wieder Verschwörungstheorien jeglicher Coleur vor. Du magst Flacherd-Videos? Wie wäre es mit Chemtrails, der Impflüge oder dem Weltuntergang durch am CERN erzeugte schwarze Löcher? Alles Rauschen, und im Thema oft viel zu ernst, um für eine abendliche Zerstreuung geeignet zu sein. Vor einigen Wochen aber stach dann doch etwas heraus. Da saß ein Herr mit sorgsam ungeordneter Frisur vor einer Bücherwand, und auch seinen Namen, Gunnar Kaiser, hatte ich bereits gehört. Etwas Nachdenken erinnerte mich daran, in einer Buchhandlung einmal seinen Roman in der Hand gehalten zu haben. Also wacker drauf geklickt!

Der erste angenehme Aspekt: Ein Buchautor und Philosoph weiß sich auszudrücken und kennt die Gesetze der Aussagenlogik. Nur inhaltlich war ich irritiert, denn die Art und Weise wie Herr Kaiser argumentiert ist solide und mir war nicht klar, warum unsere Ansichten so wenig kongruent sind.

Klare Argumentationen, die zu völlig anderen Ergebnissen kommen als ich, interessieren mich. Und so möchte ich mich heute auf die Suche begeben nach dem Kern unserer Uneinigtkeit. Mehr oder weniger zufällig habe ich, Herr Kaiser, Ihr Video zum „Nutzen und Nachteil der Maske für das Leben“ ausgewählt. Ein dicker Brocken gleich zu Anfang, wie mir schnell auffiel. Jetzt muss nur noch ein passendes Rezept her.

In Ihrem Video über die ultimative Freiheitsberaubung durch einen Mund-Nasenschutz, reißen Sie so viele Themen an, öffnen Argumentationsstränge um sie dann nicht weiter zu verfolgen, dass es beinahe schon schade ist, da ich vermute, dass Sie diese alle durchdacht haben. So haben Sie eine sehr lange Sendung mit vielen Ideen, aber leider nur wenig Inhalt produziert. Das hat mich daran erinnert, dass ich schon seit Langem einmal wieder meine Vorräte an guter Gemüsebrühe als Grundlage für Ramen Nudeln und Soßen aufstocken wollte. Eine Brühe besteht aus vielen geschmacksstarken Komponenten, die alle für sich ein eingenes Gericht verdienten. Und dennoch verdünnt man sie mit Wasser und kocht sie auf. Dies mag neckisch aussehen und besonders das Ablöschen mit Wein hat einen besonderen Showeffekt für die Gäste in einer offenen Küche, aber um am Ende zu einem brauchbaren Ergebnis zu gelangen, muss man die Flüssigkeit über eine lange Zeit einreduzieren um den gewünschten Reichtum und die nötige Tiefe an Geschmack zu erhalten.

Beginnen wir also unsere Zutaten vorzubereiten. Das Tolle an einem Fond ist, dass die einzelnen Komponenten nur sehr grob geschnitten werden müssen. Die Optik spielt keine Rolle. Aber was gehört alles dazu? Schneiden wir erst einmal eine Zwiebel in grobe Würfel. Hierbei darf die Schale ruhig dran bleiben. Auch hierin sitzt Geschmack und sie gibt der Brühe nachher eine tolle Farbe. Karotten müssen auch noch geschnitten werden. Auch hier bleibt die Schale dran.

Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass man für eine Gemüsebrühe nur ein Suppengemüsepaket auskochen muss. Das wollen wir aber nicht. Chemisch unterscheiden sich die Geschmacksstoffe und verlangen alle nach einer unterschiedlichen Methode sie hervorzulocken. Als nächstes schnippeln wir die Pilze.

Ein Großteil der Zutaten fertig auf dem Brett

Sehen Sie, Herr Kaiser, es ist so mit den Missverständnissen. Man kann ihnen jahrelang aufsitzen ohne es zu merken und doch zu einem Ergebnis kommen, das einem plausibel erscheint. Es gibt ein paar Dinge, insbesondere über die Wissenschaft, die Sie leider missverstehen. Um diese aufzuklären brauche ich aber etwas mehr Ruhe. Verschieben wir das also auf die Zeit, in der die Brühe einreduziert. Der Lauch und der Sellerie wollen auch noch geschnitten werden.

Für Ihr Video bemühen Sie das Zitat eines großen Freiheitskämpfers. Dietrich Bonhoeffer. Ich habe meine Zweifel, dass es uns zusteht uns auch nur im Entferntesten mit ihm zu vergleichen oder zu behaupten, Bonhoeffer hätte Ihre oder meine Position gestützt und zu versuchen dies mit Zitaten zu belegen. Sie zitieren:

Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch mit Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch, und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden, ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen.

Das lustige an diesem Zitat ist, dass wir vermutlich beide der Meinung sind, dass es auf den jeweils anderen in gewissem Umfang anwendbar ist. Was bedeutet das? Dummheit liegt im Auge des Betrachters? Nein, ich glaube es ist ein bisschen anders und wir müssen das Zitat im Kontext lesen. Gegen individuelle Dummheit sind wir nicht wehrlos. Ich verbringe einen Gutteil meines Lebens damit Wissen, Methoden und Wege zum Verständnis zu vermitteln. Und Sie sind Lehrer, wenn ich das richtig verstanden habe? Na sie werden doch auch schon bemerkt haben, dass Ihre Mühen bei den Schülern verfangen, oder etwa nicht? Was Bonhoeffer meinte ist die kollektive Dummheit einer Menge von Menschen, die es letztlich erlaubt, dass ein Staat innerhalb kürzester Zeit kollabiert und in eine Perversion seiner selbst verkehrt wird. Vielleicht nicht ganz der Maßstab, um den es hier geht. Wir laufen nicht Gefahr unser Leben für Gott und die Freiheit der Folgegenerationen zu verlieren, wir sind nur zwei Hampelmänner im Internet, die versuchen sich gesittet über Küchentücher im Gesicht zu unterhalten und damit die Langeweile unserer Leser und Zuseher zu zerstreuen.

Aber bevor wir uns vollständig ablenken lassen: Wir wollen Geschmack. Also nehmen wir etwa ein Drittel aller Zutaten für die Brühe und geben sie unter den Grill in den Backofen. Die Gemüseschnipsel sollen, in Teilen, richtig dunkel werden. Auch das maximiert den Geschmack. Um den Prozess zu unterstützen bestreuen wir das Gemüse mit Salz.

Ein Teil der Zutaten kommt geröstet aus dem Backofen

Derweil brutzeln wir den Rest der Zutaten in einem Topf mit einem Schuss Olivenöl. Während wir das nun auf den Weg gebracht haben, lassen Sie uns einige Dinge ausräumen, bevor wir wirklich auf die möglichen Inhalte Ihres Videos zu sprechen kommen.

Sie sind Autor, bedienen sich sehr blumiger Formulierungen. Und nicht zuletzt auch einiger rhetorischer Tricks, die so offensichtlich sind, dass ich davon ausgehen muss, dass sie der Unterhaltung dienen sollen, da Sie Ihr Publikum ja sicherlich nicht für dumm genug halten, diese nicht zu bemerken.

Das war übrigens auch ein rhetorischer Trick. Ist er Ihnen aufgefallen? Indem ich es so aussehen lasse, als gebe es nur zwei plausible Interpretationen Ihres Verhaltens, habe ich bei meinen Lesern unweigerlich den Eindruck erweckt, dass eine davon richtig sein muss; und beide lassen Sie nicht gut aussehen.

Es beginnt damit, dass Sie schädliche Wirkungen von Gesichtsmasken, insbesondere in Verbindung mit der Sommerhitze immer wieder in ihrem Video erwähnen. Die Sommerhitze ist schließlich furchtbar. Wir leiden ja so schon alle darunter, jegliche Verknüpfung von X mit „bei dieser Hitze“, schafft also sofort eine unwillkürliche Assoziation mit etwas unangenehmen, das ja nur noch schlimmer werden kann. Ohne jeglichen Beleg, bis Minute 14, versuchen Sie auf beinahe plumpe Weise so die Meinung zu verfestigen, dass Masken schaden, bis sie dann endlich einige halbherzige Versuche machen doch noch Nachweise zu erbringen, von denen keiner mit erhöhter Gesichtstemperatur zu tun hat. Das wäre auch eine sehr schlechte Nachricht für Bartträger, wie Sie einer sind.

Ihr zweiter Versuch der Manipulation ist einer Demokratisierung der Wissenschaft. Sie nennen einige wenige Quellen für die Wirksamkeit von Masken und reißen diese auch nur kurz an, um dann ein Füllhorn von mehr oder weniger wissenschaftlichen Arbeiten über Ihre Zuschauer zu ergießen, welche Sie so interpretieren, dass Masken reine Scharlatanerei darstellen. Auch hierzu später mehr, aber so viel sei hier gesagt: So funktioniert Wissenschaft nicht und das wissen Sie, Sie wollen nur Ihre Meinung verdeutlichen (oder doch nur Ihre Zuseher belustigen?). Tut mir leid, derselbe Trick zum zweiten Mal.

Wissenschaft ist dynamisch. Nicht umsonst sprechen wir davon auf den Schultern von Riesen zu stehen. Jede Forschung ist nur ein kleiner Baustein und ruht auf der Erkenntnis unserer Vorgänger. Der Zeitpunkt einer Erkenntnis und einer Conclusio ist also wichtig. Nehmen Sie das Knie des Riesen und vertauschen es mit dem Ellenbogen mag dies ähnlich aussehen, ist am Ende aber nur ein albtraumhaftes Zerrbild. Die Chronologie ist essentiell, Wissenschaft ist Diskurs, ein Frage-Antwort-Spiel und ein stetiges Anwachsen von Erkenntnis. Den uralte Trick, Aussagen von vorgestern Erkenntnissen von heute gegenüberzustellen, kann ich nur als humoristische Einlage verstehen und doch tun Sie es immer wieder. Warum?

Ja, warum eigentlich? Ich finde den Diskurs über die Wirksamkeit und Notwendigkeit aller Maßnahmen, die unsere Freiheit einschränken, wirklich wichtig. Zu Anfang der Pandemie war ich besorgt darüber, dass die Gesellschaft und die Presse diese Einschränkungen einfach akzeptiert haben. Wenn Sie aber, als einer der erklärten Kritiker, so offensichtlich versuchen zu manipulieren, schießen Sie sich nicht nur direkt ins Aus, sie betreten ja nicht einmal das Spielfeld. Ich kann nicht erkennen, was der Grund dafür sein sollte. Helfen Sie mir!

Nun wird es Zeit das Gemüse aus dem Ofen zu holen, bevor es gänzlich zu Kohle wird und zu dem Rest zu geben. Diesen Rest löschen wir mit Wasser ab, rühren einmal kräftig durch und lehnen uns zurück, denn jetzt heißt es warten und einreduzieren. Das bedeutet wir haben endlich Zeit für Inhalte!

Immer wieder fragen Sie Ihre Zuschauer „Haben Sie denn alle Artikel, alle Veröffentlichungen gelesen?“ Witzige Frage. So viel wird publiziert, dass dies wohl kaum möglich ist. Das ist aber auch nicht nötig, denn so funktioniert Wissenschaft nicht. Mein Fachgebiet existiert seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Glauben Sie, ich habe alles gelesen, was seitdem hierzu veröffentlicht wurde? Das wären mehrere zehntausend Artikel, Bücher, Zusammenfasstungen. Habe ich natürlich nicht. Darf ich also nicht über mein Thema schreiben? Nichts darüber sagen? Nein. Es geht um Verständnis, Bausteine zu einem Mosaik zusammen zu setzen, Relevantes von Irrelevantem zu trennen, indem man präzise Fragen stellt und so einen soliden Unterbau für die eigene Arbeit und Interpretation zu schaffen.

Da es Ihnen aber wichtig zu sein scheint, dass Ihre Zuschauer viel lesen, habe ich mich wenigstens durch alle Ihre Quellen gekämpft. Ich hoffe ich kann Ihnen damit eine Freude machen. Dabei beschlichen mich allerdings Zweifel, ob Sie, abgesehen von den vorangestellten Kurzfassungen, alle diese Artikel gelesen haben, denn viele davon sind nicht frei verfügbar und, falls Sie nicht an einer Forschungseinrichtung mit den entsprechenden Abbonements arbeiten, sehr teuer.

Und jetzt beginnt die eigentliche Wissenschaft mit der mühseligen Literaturarbeit. Die man betreiben muss, wenn man wirklich in ein Thema einsteigen will. Es geht nicht darum eine Linie zu ziehen und zu zählen, wie viele Veröffentlichungen sich auf welche Seite dieser Linie hinüberinterpretieren lassen. Die Prämisse, mit der man an publizierte Artikel, die einen Peer-Review-Prozess durchlaufen haben, herangehen muss ist, dass sie sich nicht widersprechen. Scheinbare Widersprüche deuten auf unzureichend verstandene Aspekte hin. So funktioniert Wissenschaft, nur so erweitert man sein Wissen, sein Verständnis. Alles andere dient nur der flüchtigen Unterhaltung an der Supermarktkasse.

Werfen wir doch mal einen Blick in den Topf. Herrlich! Schauen Sie sich diese Farbe an! Lassen Sie mich Ihnen versichern, lieber Leser, es riecht wunderbar. Aromen und Farbe beginnen sich zu konzentrieren, während die Menge an Flüssigkeit langsam köchelnd abnimmt.

Ein Blick in den Topf

Wir wollen mit Ihren Quellen ähnlich vorgehen. Zunächst einmal, verzeihen Sie, sortieren wir alles aus, das nur aus einer Pressemitteilung ohne Verweis auf eine veröffentlichte Studie führt, außerdem alle Vorabveröffentlichungen ohne Peer-Review. Über die Qualität manche der von Ihnen zitierten Journale wollen wir hier kein Urteil fällen und einfach davon ausgehen, dass sie alle ähnliche Qualität haben. Und nun müssen wir das Problem in kleine Teile zerlegen. Wissen Sie, Herr Kaiser, was das verhindert? Dass wir die Antwort auf eine Frage mit einem „Ja aber“ abtun können. Wir also die Fragestellung stetig ändern, um unseren Standpunkt nicht verlassen zu müssen. Ein einfaches Beispiel: „Eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen reduziert den menschgemachten CO2-Ausstoß in Deutschland um X Tonnen jährlich.“ Wenn wir darauf jetzt antworten: „Tempolimits bringen nichts, da sich die Leute eh nicht daran halten.“ so ist dieses Gegenargument unzulässig, da es sich mit einer anderen Fragestellung beschäftigt, als die erste Aussage. Also, immer Schritt für Schritt, wo Sie lieber hoppladihopp nach vorne stolpern.

Trennen wir die Frage der Fragen, die die Republik nachts wach hält, also in ein paar gut zu diskutierende Aspekte auf.

  1. Wie beeinflussen die verschiedenen Arten von Masken die Ausbreitung von aerosolgebundenen Viren beim Ausatmen, Husten und Niesen? Oder platt gesagt: Ich habe einen Fetzen Stoff, was kommt wie auf der anderen Seite an, wenn ich versuche Viren durchzupusten?

  2. Wie beeinflusst das Anwendungsverhalten in verschiedenen Szenarien (dauerhaftes Tragen, kurzfriste Verwendung im Alltag, Klinikumfeld) die Ergebnisse aus 1.?

  3. Welche Risiken entstehen durch die Szenarien aus 2.?

Sehen Sie, alles unterschiedliche Fragen. Miteinander verknüpft, ja, aber eine Antwort auf 3. ist mitnichten ein Gegenargument zu 1. Und jetzt wollen wir doch einmal schauen, wie wir aus dem Gemüsegarten an Quellen, die sie zitieren, ein wenig konzentrierte Erkenntnis gewinnen können. Ich möchte hier zu keinem Schluss kommen, nur an einem Beispiel die Methode zeigen. Insgesamt geht es mir darum, Ihre Methode kritisieren. Es steht Ihnen frei, zu anderen Schlüssen zu kommen als andere oder ich. Das ist wichtig und wertvoll. Aber die Methode Wissenschaft zu kritisieren ist nicht beliebig, diese diktiert die Wissenschaftstheorie, die Philosophie. Also genau ihr Fachgebiet!

Beginnen wir also mit Frage eins. Studien, die sich mit dieser Frage beschäftigen, tauchen in Ihren Quellen leider nicht auf. Uff, muss ich also doch selber ran. Einen guten Startpunkt bildet hier der von Ihnen zitierte preprint “Face Masks Against COVID-19: An Evidence Review” (doi: 10.20944/preprints202004.0203.v4) geschrieben von Jeremy Howard et al. Als preprint fällt er eigentlich durch unser Raster, aber er ist dennoch geeignet Primärquellen zu suchen. Und siehe da, gleich mehrere Studien beschäftigen sich mit der systematischen Analyse der Penetration von Nanopartikeln, das heißt Aerosolen, durch einen ganzen Zoo an Materialien (vgl. Quellen 21-25 im genannten Artikel). Die zugehörige Methodik ist standardisiert, dient sie doch auch der Zulassung von Masken für den Schutz von Menschen, die in gefährlichen Umgebungen arbeiten (N95, N99, FFP2, etc.). Die Ergebnisse der Studien zu Haushaltsmaterialien streuen stark und man stellt fest, dass Stoffe, die man zu Hause in der Kramkiste hat zwischen einigen wenigen Prozent bis hin zu beinahe drei Vierteln aller Partikel herausfiltern können. Wie müssen wir also Frage eins in Bezug auf selbstgebastelten Gesichtsschmuck beantworten? Als gute Wissenschaftler sagen wir, sprechen Sie mir nach: “Es kommt darauf an.”

Wir können also nicht schließen, dass Stoff nichts bringt, sondern, dass nicht jeder Stoff nützlich ist.

Nun also zu Frage Nr. 2. Wenn also selbst gebaute Masken nützen können, sehen wir einen Effekt nach Einführung einer Tragepflicht in bestimmten Situationen oder nicht? Auch hier widersprechen sich die Studien nur scheinbar. Liest man zum Beispiel die Studie von Thomas Wieland (Safety Science 131 (2020) 104924) etwas genauer, so stützt er weder Ihre Argumentation, noch widerlegt er sie. Vielmehr schließt er, sogar in dem von Ihnen gezeigten Abschnitt, aber auch nochmals in der Conclusio, dass seine Methode nicht geeignet ist, einen Effekt des Tragens von Masken nachzuweisen. Der wichtigere Schluss seiner Studie ist, dass auch Effekte anderer Maßnahmen in seiner, zugegeben recht simplen, statistischen Analyse nicht auszumachen sind und der rapide Infektionsrückgang in Deutschland wohl auf freiwillige Verhaltensänderungen zurückzuführen sind, die später implementierte Regelungen bereits vorweggenommen haben.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind vergleiche zwischen Influenza- und SARS-Studien. Denn die Übertragungswege verschiedener Krankheiten unterscheiden sich zum Teil stark. Die Studie der Kollegen Jingyi Xiao et al. ist dennoch interessant, denn ihrer Metaanalyse nach, helfen weder Hände Waschen, noch rigorose Reinigung von Oberflächen oder ein Tragen von Gesichtsmasken gegen die Übertragung einer Influenzaerkrankung. Eventuell ist hier “laboratory confirmed” ein wichtiges Stichwort. Eine Interpretation, warum trotz systematischer Nachweise für die antivirale Wirksamkeit der untersuchten Maßnahmen eine Evidenz für eine reduzierte Übertragung fehlt, bleiben die Autoren schuldig.

Die Metanalyse von Tom Jefferson (aktuell als preprint auf medrxiv, doi: 10.1101/2020.03.30.20047217) ergab in der Tat keinen nachweisbaren Effekt des Tragens von Masken oder des Abstand haltens im Alltag, im Gegensatz zu einer von denselben Autoren durchgeführten Studie zur SARS-Epidemie von 2003. Die Autoren führen dies auf das Design der Studien zu SARS-Cov2 zurück. Und hier beginnen wir einen gemeinsamen Nenner zu finden, und können gleichzeitig ein Problem identifizieren. Alle Forschung zur aktuellen Pandemie steht unter großem Druck der Politik und Öffentlichkeit und ist deshalb oftmals mit der heißen Nadel gestrickt. Und oft bleibt nur zu sagen, dass der schnelle Weg nicht derjenige ist, der zum Ziel führt. Es handelt sich also nicht um eine Kritik der Maßnahme, wie Sie es gerne hätten, sondern um eine Kritik der Methode, deren Aussagekraft geringer ist als erhofft.

Riecht das nicht toll? Ach ja, dumme Frage, aber es wird intesiver, wir nähern uns dem Ziel. Versprochen! Denn Sie haben auch erkannt, dass die Quellen nicht so richtig in Ihr Narrativ passen wollen und diskutieren die „burden of proof“, also die Beweislast. Da musste ich schmunzeln, denn wer von der Wissenschaft „Beweise“ verlangt, sollte noch einmal seine Unterlagen aus dem dritten Semester von Platon über Kuhn und Popper bis hin zu Lakatos bemühen.

Wir probieren einmal!

Lassen Sie uns zu guter Letzt noch reflektieren, was gesunde Ernährung bedeutet. Suchen wir lange genug, so werden wir herausfinden, dass eigentlich alles, was wir zu uns nehmen, höchst ungesund ist. Auf die Dosis kommt es an. Wir haben zum Beispiel unser Gemüse verbrannt, damit die Brühe besser schmeckt. Da klopft Gevatter Krebs ja direkt an die Tür! Und genauso ist es mit den gesundheitlichen und psychosozialen Folgen des Maskentragens. Man muss Abwägen, das sagen auch Sie ganz richtig. Und Sie sagen auch, dass die Studienlage hierzu sehr schwach ist. Insbesondere, wenn man aus ihren Quellen solche aussortiert, die keine sind, also Kommentare und Nachrichten. Dies kann zweierlei bedeuten. Erstens: Niemand hat sich die Frage nach möglichen negativen Auswirkungen ernstlich gestellt oder zweitens: Der Fehler liegt im System. Negative Ergebnisse werden stark unterproportional publiziert. Eine wiederkehrende Kritik des Wissenschaftssystems, aber für solch schwere Diskussion, brauchen wir ein anderes Gericht und mit Sicherheit etwas Wein. Ein naheliegender Schluss ist also auch: Wenn man nichts zu Risiken durch Stoffmasken findet, dann wurde auch nichts gefunden.

Viele Studien belegen vor allem Risiken durch Fehlgebrauch (zu seltener Wechsel der Maske, Selbstinfektionen durch das Berühren kontaminierter Maskenmaterialien, etc.) Stimmt, das ist ein Risiko. So ein Mist, dass die Maske am Kinn so furchtbar cool ausschaut. Eine weitere Studie formuliert das Risiko als “Hypothese” (Medical Hypotheses 144 (2020) 110002), eine andere kann die Gründe für die reduzierte Sauerstoffsättigung des Blutes nicht klar identifizieren und nennt schlicht alle möglichen Ursachen (Neurocirugía 2008 19: 121-126). Die in der Studie von Tze-Wah Kao gefundene Reduktion des Partialsauerstoffdrucks im Blut auf um die 90mmHg befindet sich noch einwandfrei im Normbereich von 75mmHg bis 100mmHg und stellt keine Begründung für hypoxische Symptome dar. Hand aufs Herz: Haben Sie die Quellen wirklich gelesen oder nur nach Sätzen gesucht, die Ihnen gefallen? Man könnte hier jetzt weiter machen, aber das würde für uns alle langweilig.

Die Brühe ist fertig. Streichen wir sie noch durch ein Sieb und kommen zu einem zufriedenstellenden Ende. Herrlich, diese Farbe! Und wenn wir ein kleines Löffelchen probieren… wunderbar! Sehen Sie, wie das funktioniert hat? Wir haben viele Zutaten genommen, und von allen das Essentielle zu einem homogenen, runden Gesamtbild vereint. Es geht mir gar nicht darum, dass Sie Masken nicht mögen, Sie können sogar gerne der Meinung sein, dass sie nichts nützen oder gar Schaden anrichten. Aber lassen Sie doch die Kindereien, damit wird Sie niemand ernst nehmen.

Ich hoffe Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich Ihr versöhnliches Videoende als Gesprächsangebot aufgenommen habe. Denn guter Diskurs ist wichtig und gerade was die gesellschaftlichen Implikationen betrifft, könnten Sie mit Sicherheit wertvolle Einsichten liefern. Aber am Ende weiß ich immer noch nicht, ob Diskurs das ist, was sie wollen, oder ob Ihnen nur daran liegt eine aufgebrachte Meute durch immer wieder gezielt gesetzte rhetorische Spitzen daran zu hindern gelangweilt ihre Mistgabeln beiseite zu legen und ihre Fackeln zu löschen. Wissen Sie es?

Guten Appetit.

In einer Schüssel Ramen findet unsere Brühe einen guten Platz